Freitag, 31. Oktober 2014

Michael Tal und das Feld f7

Es wird erzählt, dass Exweltmeister Tal mehrfach von einem älteren Vetter mittels Schäfermatts auf f7 Matt gesetzt wurde. Sicherlich eine harte und schmerzhafte Lektion für einen Anfänger. Schließlich verstand er es aber diese Matts zu vermeiden.

   Nichtsdestotrotz scheint diese Erfahrung mit dem Schachpunkt f7 einen nachhaltigen Eindruck bei Michael Tal hinterlassen zu haben. Denn der Einschlag auf f7 kam später so häufig in seinen Partien vor, dass man da nicht mehr an Zufall glauben möchte. Hier ein Beispiel , allerdings mit der besonderen Note, dass ihn sein Gegner ausdrücklich dazu einlud


Tal - Simagin

Hier hätte Schwarz mit dem normalen Zug 11. … Le7 fortsetzen können. Er zog es aber vor, den kommenden Weltmeister und Opferkünstler zu „provozieren“. Vielleicht weil ihm 12. f5! nicht gefiel

11. … h6!?
Gemäß eines Partiekommentares rechnete Simagin mit dem Einschlag auf f7, aber auch damit, dass Tal in der Folge vielleicht einmal nicht die stärkste Fortsetzung finden würde. Nun ja, darauf hätte ich mich vermutlich nicht verlassen :-)

12. Sxf7!
Für einen Michael Tal war die Annahme einer solchen Herausforderung sozusagen eine Ehrensache. Aber auch stellungsgerecht

Kxf7 13. f5!
Damit wird die gefährliche f-Linie freigelegt.

Dxe5 (Sxe5 14. Kh1!) 14. fxe6 Kxe6


   
Es ist davon auszugehen, dass beide Spieler zumindest bis hierher gerechnet hatten. Es ist offensichtlich, dass die schwarze Königsstellung eine starke Kompensation für den geopferten Springer ist. Aber würde es reichen?
15. Tb1!
Ein Hammerzug! Ein Scheinopfer, dass man aber kaum ablehnen kann. … Da6 16. Dg4+ Kd6 17. dxe5+ (jetzt wegen da6 möglich) Kc7 18. Lf4 ist mehr als kritisch


Dxb1 16. Dc4+ Kd6 17. La3+ Kc7 18.Txb1 Lxa3

Der Pulverdampf ist verraucht und wir werfen erneut einen genaueren Blick auf die Stellung


Schwarz hat seinen materiellen Vorteil wahren können, aber sein König kommt in der Folge nicht zur Ruhe
19. Db3! Le7 20. Dxb7 Kd6


Bis hier hatte Tal alles richtig gemacht und der von Simagin erhoffte schwächere Zug war ausgeblieben. Nun hätte Weiß alles klar machen können mit 21.Td1! Gegen das nun drohende dxe5 gibt es kaum eine vernünftige Verteidigung. Nach beispielsweise 21. … e4 22. d5! Sind Materialverluste nicht mehr zu vermeiden
21. dxe5?!

Mit diesem ungeduldigen Zug brachte Tal sich erst einmal um das schnelle Ernten der Früchte seines guten Spiels

Sxe5 22. Td1+ Ke6 23. Db3+ Kf5 24. Tf1+ Ke4


An dieser Stelle zeigt das Schachprogramm fritz 6 einen Weg zu einem wohl spielentscheidenden Vorteil an; 25. De6 Lc5+ 26. Kh1 The8 27. Te1+ Le3 28. Dh3! Sc4 29. Dd7! Tad8 30. Dxc6+ Kf5 31. Dxc4 +-


Der weiterhin exponierte König und die beiden Freibauern sollten den Sieg gewährleisten 

25. Te1+ Kf5 26. g4!

Tal lässt nicht locker. Aber wie gesagt, den vorzeitigen Gewinn hatte er schon versäumt

Kf6 27. Tf1+ Kg6 28. De6+ Kh7!

Der Figurenverlust wäre eh nicht zu vermeiden gewesen: 28. … Lf6 29. Df5+ Kf7 30. Dxe5

29. Dxe5 The8 30. Tf7 Lf8 31. Df5+ Kg8


Natürlich stand Weiß hier immer noch etwas besser. Aber der schwarze König war erst einmal halbwegs in Sicherheit und ein direkter Gewinn nicht in Sicht. Eine Königswanderung nach g6 ( mit der Drohung Txg7! und matt) funktionierte nicht so richtig. 
    Das es letztendlich nach einem späteren Fehler von Simagin doch noch zu einem Talschen Sieg kam, mag dann eher in seinem Siegeswillen begründet sein. Und in der Tatsache, dass langwierige schwierige Verteidigungen oft auch ermüdend sind.

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Einschlag auf f7

Opfer, die man nicht bis zuende durchrechnen kann, erforden einen gewissen Mut. Aber es gibt oft auch allgemeine Anhaltspunkte, die einem Mut machen können. So wie in dem nächsten Beispiel


 Keene -Robatsch

Hier hatte Weiß einen kleinen Entwicklungsvorspung. Aber wenn schwarze Springer nach e5 gelangt, sollte Schwarz auf jeden Fall ein ausgeglichenes Spiel haben. Aber für einen kurzen Moment ist der Punkt f7 ungeschützt. Ein günstiger Moment für einen Einschlag? Alles hängt davon ab, ob der König zurück nach g8 gehen kann oder nicht. Wäre dies ohne irgendwelche negativen Konsequenzen möglich, so wäre der Opferpreis zu hoch. 21. Txf7 Kxf7 22. Tf1+ Kg8


 
Hier aber zeigt sich, dass er durch den Opfereinschlag entwurzelte Sg6 zum Zielobjekt würde 23. Sf6+! gxf6 24. Dxg6+ mit leichtem Gewinn für Weiß. Somit ist klar, dass ein Turmopfer den König ins Freie bringen wird, wo er mit Sicherheit ins Fadenkreuz der weißen Figuren geraten dürfte. 

Wenn man als dies erkannt hat, reicht dies schon eigentlich als Grundlage für ein Opfer aus. Vier Figuren und der d-Bauer gegen einen relativ ungeschützten König und ein schlecht koordiniertes Figurenteam sollte nach menschlichem Ermessen eigentlich zum Erfolg führe
Txf7! Kxf7 22. Tf1+ Ke7 23. d6+ Kd7
Ein starker Amateur wird vermutlich bis zu dieser Stellung vorausgerechnet haben können. Der König steht alles andere als sicher und der Mehrturm auf a8 spielt keine Rolle. Das Ende kam dann auch schnell und folgerichtig
24. Tf7+ Se7
Schwarz hat tatsächlich nichts Besseres. Auf 24. … Ke6 käme einfach 25. Txb7 und der König bliebe im Fadenkreuz. Und nach 24. … Kc8 könnte ein brilliantes Finale folgen: 25. Tc7+ Kb8 26. Txb7+ Kxb7 27. Sxc5 ++ Kb8 28. Sa6 matt

  
25. Da4+! Kc8 ( Kc6 26. Lh3 matt) 26. d7+! Dxd7 27. Lh3!


Den Rest wollte sich GM Robatsch dann doch nicht mehr zeigen lassen … Dxh3 28. Dxe8+ Kc7 29. Txe7+ Dd7 30. Dxd7 Kb8 31. Dxb7 matt.
                                    1-0

Ein Turmopfer ist ein hoher Preis, aber wenn man den gegnerischen König so wie in diesem Beispiel gesehen ins Fadenkreuz der eigenen Figuren ziehen kann, sollte man ihn entrichten.

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Donnerstag, 30. Oktober 2014

Der wunde Punkt f7/f2

Das f2 und f7 zu Beginn einer Partie wunde Punkte sind gehört zum kollektiven Allgemeinwissen von Schachspielern. Stichwort Schäfermatt! Aber auch nach längst erfolgter Rochade kann es da noch zu mehr oder weniger überraschenden Einschlägen kommen. Wie beispielsweise in der folgenden Partie:

Cifuentes- Zwjagsinew

Für einen Moment lang ist der Punkt f2 nur vom König geschützt. Ein günstiger Moment für einen Einschlag? Schwarz sah das so:

24. … Sxf2 25. Kxf2 Txe3!

Damit erhöht sich der Opferpreis auf einen ganzen Turm und basiert darauf, dass auf jeden Fall als nächstes Sg4+ folgen kann

26. Lxe3

Die Alternative 26. Kxe3 Sg4+ 27. Kd2 Sxh6 hieße bei materiellem Gleichgewicht mit einem König in der Mitte weitermachen zu müssen. Was sicherlich dem Schwarzen ausgezeichnete Gewinnchancen einräumen würde



Nun wird der weiße König zwar auch aus seiner Festung herausgezerrt, aber mit einem Minusturm ist Schwarz nun wirklich gezwungen die Korrektheit seines Opfers konkret nachzuweisen oder sich auf ein Dauerschach einzulassen

26. … Sg4+ 27. Kf3 Sxh2+ 28. Kf2 Sg4+ 29. Kf3



 
Das Das Dauerschach hat Schwarz hier schon in der Tasche. Aber geht hier vielleicht noch mehr?

29. … De6!!

An sich ist dieser Zug nicht so schwer zu finden, verdient seine zwei Ausrufezeichen aber auf jeden Fall wegen seiner verheerenden Wirkung auf die weiße Stellung. Konkret drohen Dxe3 und Lxd5. Es handelt sich also um einen Doppelangriff

30. Lf4 Te8 31. Dc4



Die Stellung ist nun bereit für ein krönendes Finale

31. ...De3+!! 32. Lxe3 Txe3 33. Kg4 Lc8+ 34. Kg5 (Kh4 Le7+ matt) h6+ 35. Kxh6 Te5!

Nun drohte ein zweifaches Matt (auf h5 und auf f8), deshalb gab Weiß hier auf

   
Der Sieger hat immer Recht und insofern hat sich das Springeropfer als f2 als richtig erwiesen. Aber es war auch nachweislich korrekt? Konnte der Schwarzspieler dies schon am Anfang wissen? Hatte er alles bis zum Matt durchgerechnet?

Vom Einschlag auf f2 bis zu Te5 sind es 11 Züge. Dies ist sicher für einen Großmeister „machbar“, wenn es sich um recht forcierte Varianten mit nicht allzuvielen Abzweigungen handelt. Aber im Grunde war dies auch gar nicht nötig. Im Grunde musste er nur bis 29. Kf3 die Stellung korrekt berechnen


Hier hatte er das Remis sozusagen schon in der Tasche (Springerschaukel h3-g4), mit der Option auf mehr mit 29. … De6.

Gehen wir noch einmal kurz an das Ende der Partie



Schwarz war es in beeindruckender Weise gelungen alle seine Figuren in die Jagd auf den ins Freie gezerrten König miteinzubeziehen. Und hat dabei seinen Opfereinsatz beständig erhöht ( Springer-Turm-Dame). Aber was nützt eine Mehr-Dame, wenn sie nicht helfen kann? Im Schlussbild stehen die verbliebenen weißen Figuren fast alle da, wo sie auch schon im ersten Diagramm standen. Fast mag es einem so erscheinen als ob sie wie gelähmt der Jagd auf ihren König zugeschaut hätten.

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(Fortsetzung folgt)


Dienstag, 14. Oktober 2014

Vom Mill-Effekt im Schach


Letztens auf dem Weg zum Spiellokal traf ich Peter P. . Wir legten den Rest des Weges gemeinsam zurück und kamen ins Plaudern. Und irgendwann landeten wir bei einer Begebenheit, die im kollektiven Gedächtnis der deutschen Fussballfans abgespeichert: Die vergebene Torchance von Frank Mill im Jahre hier

Immer wieder gerne gesehen und gelacht. Aber wenn es einen dann selber trifft, findet man das keineswegs so witzig. Wie ich wenige Stunden danach leidvoll selber erfahren sollte:



Mein Gegner hatte gerade g3 gezogen und ich verspürte wenig Lust den Läufer nach h6 oder b8 zurückzuziehen. Und so entschloss ich mich kurzerhand zu einem Linienopfer. Hatte ich es doch jüngst das Thema in einem Unterricht noch behandelt 
20. …Sh5!
Das Schachprogramm Rybka 3 ist übrigens der gleichen Ansicht, schlägt aber alternativ auch noch 20. ...Tfc7 vor

21. gxf4
Weiß nimmt die Herausforderung an

... Sxf4 22. Te3 Tfc7 23. Se5 Dh5



Auch wenn hier Rybka 3, jedenfalls nach kurzer Berechnungszeit, noch einen relativ geringen Vorteil anzeigt, so denke ich doch, dass hier der schwarze Vorteil schon recht groß ist. Die schwarzen Figuren sind äußerst aktiv und teilweise schon in recht bedenklicher Nähe des weißen Königs. Die weißen Figuren sind ohne großes Zusammenwirken übers Brett verteilt. Zudem befand sich mein Gegner in hochgradiger Zeitnot

24. Le7?

Dieser Zug ist zwar taktisch abgesichert, erlaubte mir aber nun den c-Turm mit Tempo nach h6 zu bringen

... Te8! 25. Lb4 Te6!

Hier war ich mir relativsicher, dass ich die Partie gewinnen würde. Denn nach 26. ...Th6 besteht kaum noch Hoffnung auf Rettung. Mein Gegner zog blitzschnell

26. Sd2

Ich war etwas überrascht, weil ich eher mit so etwas wie 26. Db5 gerechnet hatte. Dies hätte die Partie wohl nicht gerettet, aber noch mal gewisse Schwierigkeiten bereitet wegen des Zwischenmatts auf e8





26. .... Sxd2??

Da haben wir ihn, den Mill-Effekt im Schach. Rybka 3 veranschlagt hier +17, was ungefähr dem Mehrwert von zwei Damen entspricht. Aber nur wenn man das naheliegende und richtige 26. ... Th6! spielt (siehe Diagramm)


Nach 27. Sdf3 Dh3! bleibt nur das Rückopfer 28. Sh4 ohne dass nach 28. ... Dxh4 der Mattdruck nachlassen würde. Es wäre Weiß wohl nichts Anderes als die Aufgabe der Partie geblieben. Nach meinem Partiezug, den ich für einen klaren Weg zum Matt hielt, erwartete mich eine Überraschung

27. Lxd2 Th6
Hier erwartete ich ehrlich gesagt die Partieaufgabe. Aber mein Gegner zog unbeeindruckt

28. h3

und ich

... Sxh3 29. Txh3 Dxh3


Während mein Gegner kurz nachdachte und ich mich irritiert fragte, warum er nicht aufgab, sah ich plötzlich den Haken an meiner gewählten Fortsetzung. O weia! Der Th6 hing Mein Gegner zog dann auch
30. Lxh6
Nach einem Moment des irritierten Blickens aufs Brett erkannte ich, dass sich eigentlich nicht viel geändert hatte
30. ... gxh6

Und wieder droht Matt. Mit nur noch wenigen Sekunden Bedenkzeit auf der Uhr spielte mein Gegner

31. Sd7!

Der Springer ist tabu wegen Dc8+ und versperrt dem Turm den Weg nach g7

31. ... f4

Ein neues Mattbild droht



32. De2!
Wiederum der beste Zug. Spätestens hier begann es mir zu dämmern, dass ich wohl a la Mill das „leere Tor“ nicht getroffen und den Ball an den Pfosten gesetzt hatte.
32. ... Txd7 33. De8 + Kg7 34. Te1
Hier resignierte ich mehr oder weniger und wollte nun ins Remis einlenken

34. ... Dg4+ 35. Kf1 Dh3+ 36. Kg1 Dg4+ 37. Kf1 Dh3+




Hier erwartete ich nun den Remisschluss, aber mein Gegner zog überraschend tempo

38. Ke2!?

Angesichts der überstandenen Not und immer noch wenigen Sekunden auf der Uhr ganz schön keck

... Df5?!

Mittlerweile war meine Zeit auch schon runtergelaufen, so dass ich auch schnell ziehen musste. Dg4 wäre besser gewesen, da es nicht die g-Linie aufgeben hätte

39. Tg1+!

Jetzt bloss nicht die Partie noch verlieren, ging mir durch den Kopf

... Kf6 40. Dg8+  Ke7 (Zeitkontrolle) 41. Tg7+ Kd6 42. Db8+ Ke6



Weiß kam hier nicht mehr weiter und wir einigten uns hier auf Remis 

Was für eine Partie! Ein am Ende glückliches Remis, was sich aber irgendwie wie eine Niederlage anfühlte. Nun kann man sagen Pech gehabt, aber so einfach will es mir dann doch nicht machen. Es mag ja eine höhere Fügung gewesen sein, aber auch ein erkennbarer Leichtsinn. Als ich die Wahl zwischen 26.... Sxd2?? und 26....Th6! zu treffen war, hatte ich - im Gegensatz zu Frank Mill - noch genug Zeit um mir die Sache in Ruhe anschauen zu können. Stattdessen entschied ich ich mich recht schnell für den Fehlzug und wurde abgestraft.

Im Nachhinein kann ich schon wieder drüber lachen. Es war eine Erfahrung, die mir sicherlich im Gedächtnis haften bleiben wird.