Freitag, 31. Januar 2014

Freibauerbildung nebst Diagonal- und Linienöffnung

Im Schach wie im Leben sollte man günstige Gelegenheiten ergreifen. Eine solche Gelegenheit bot sich dem Weißspieler in der nachfolgenden Position:


Ragosin-Klaman (1954)

23.Td6!
Eine sehr unangenehme Überraschung für Schwarz. Denn nun hat er die Wahl zwischen „Pest und Cholera“. Entweder er tauscht nicht und muss zusehen, wie Weiß mit 24. Ted1 den Druck in der d-Linie verstärkt oder aber er tauscht mit den entsprechenden Folgen. Er entschied sich für Letzteres:
23. … Txd6 24. exd6
Nun ist ein starker Freibauer auf d6 entstanden, der erst einmal tabu ist . Denn es ist ebenfalls die Lb2-Diagonale aufgegangen und es droht ein Matt auf g7
e5 24. Dh5 f6



Schwarz hat eine Läuferbarriere gegen den gefährlichen Lb2 aufgebaut. Aber da ist ja noch der andere Läufer auf g2
25. Le4!
Spätestens hier wird klar wie kritisch die schwarze Lage bereits ist.
h6 26. Dg6 Kf8 27. La3!
Den Freibauern auf d6 möchte Weiß natürlich behalten.
Td7 28. Tc1 Le6 29. Lc5 Dd8


Die schwarzen Figuren sind regelrecht eingeschnürt. Aber wie knackt man nun die schwarze Festung?
30. Ld3 Ld5 31. Te1!
Nun wird klar, dass Weiß eine Linienöffnung mittels f4 anstrebt. Wobei es letztlich egal ist, ob die e- oder f-Linie aufgehen wird
a4 32. b4 Lxa2
Nun ist auf der a-Linie ein Freibauer entstanden, der unter normalen Umständen Sorgen bereiten könnte.



33. f4! De8
Nur am Rande sei erwähnt, dass 33. … exf4? 34. Te7! die Partie sofort beendet hätte. Aber auch so dauerte es nicht mehr lange
34. Dh7 Lg8 35. Dh8 De6 36. fxe5 a3 37. Tf1!


Entfesselt und droht zugleich mit dem desaströsen exf6. Übrigens hätte 36. … fxe5 37. Tf1+ Ke8 38. Lg6+ ebenfalls verloren

a2 ( … Dxe5 38. Lc4!) 38. exf6!


Aus diesem Mattnetz kommt Schwarz nicht mehr heraus. Auf 38. … a1D gewänne einfach 39. fxg7 ++ Kd8 40. Txa1 . Deshalb 

                                                                  1-0

Zusammenfassung: Weiß nutzte einen günstigen Moment, um eine Freibauerbildung und Diagonalöffnung zu provozieren. In der Folge wurden die schwarzen Figuren in der eigenen Hälfte regelrecht eingeschnürt. Aber erst eine Linienöffnung brachte dann die Entscheidung

Nachspielen der Partie: http://www.chesspastebin.com/2014/02/01/ragosin-klaman-by-heinrich/


 

Mittwoch, 22. Januar 2014



Triumph einer konsequent beibehaltenen Spielstrategie

Im Schach ist es selten so, dass man einen einmal gefassten Plan von Anfang bis zum Ende durchziehen kann. Meist ist es so, dass man ihn im Laufe einer Partie an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen oder manchmal sogar komplett ändern muss.

Pläne sollten andererseits aber auch keine „Produkte“ von Launen und Impulsivität sein. Sie sollten auf gesunder Beurteilung von Stellungsmerkmalen und logischen Spielstrategien basieren. Wie in dem nachfolgenden Beispiel:


Spasski- Petrosian (1969)


Der geübte Spieler sieht hier mit einem Blick, dass die weißen Chancen auf dem Freibauern in der Mitte und der Möglichkeit eines Königsangriffs bestehen. Idealerweise sollte man beides miteinander kombinieren.

Die schwarzen Chancen liegen ganz eindeutig auf dem Damenflügel. Denn dort hat er einen Mehrbauern und beherrscht er die c-Linie. Idealerweise hätte er gerne den Springer auf d6 stehen. Dort würde er den Freibauern blockieren und könnte auch bei einem Königsangriff in der Verteidigung helfen. Und so wird sich Petrosian wohl auch mit dem Überführungszug 19. … Sb7 beschäftigt haben. Eine mögliche Fortsetzung wäre dann gewesen: 20. Sg5! g6 21. Dh3 h5 22. Se4 f5 23. d6! Dc2 24. d7 Tc6 25. Sg5




Es ist offensichtlich, dass aus dem Traum von einem Blockadespringer auf d6 nichts geworden ist. Der Freibauer steht schon „ante portas“ und auch um den schwarzen König herum ist es recht „luftig“ geworden.

Ganz offensichtlich stellt die Sg5-Idee eine ernste Bedrohung für Schwarz dar. Und so entschloss er sich, der etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen

19. … Dc2
Damentausch oder Bauerngewinn zulassen? So lautete hier die Frage für Spasski. Nach 20. Dxc2 Txc3 21. Te7 a6 22. Ta7 Txa2 23. Txa6 Tb2 24. Se5


wäre der weiße Vorteil bestehen geblieben. Aber er hätte alles auf die Karte Freibauer setzen müssen. Dies schien ihm nicht genug zu sein, denn er vermied den Damentausch und spielte

20. Df4!?
Viele Amateurspieler würden vor solch einem Bauernopfer vielleicht zurückschrecken. Aber Spasski wollte sich hier die zweite Option Königsangriff nicht nehmen lassen. Und folgte weiter der ursprünglichen Spielstrategie

20. … Dxa2 21. d6 Tcd8
Das ist schon ein erstes Zugeständnis. Der Turm stand auf der c-Linie recht aktiv, wird aber nun zur Verteidigung gegen den vorstürmenden d-Bauern benötigt.

22. d7 Dc4 23. Df5



Vergleicht man dieses Diagramm mit dem Ausgangsdiagramm, so hat es zwei einschneidende Veränderungen gegeben. Der a-Bauer ist vom Brett verschwunden und der d-Bauer hat mittlerweile die siebte Reihe erreicht.
Vielleicht noch einmal zur grundsätzlichen Erinnerung: Ein Freibauer auf der zweiten oder siebten Reihe stört (im Mittelspiel) erheblich die gegnerische Figurenkoordination und schafft taktische Möglichkeiten

23. … h6
Schwarz möchte Sg5 verhindern, um die zweite Option der weißen Spielstrategie, den Königsangriff, einzuschränken. Aber es gibt Weiß ein Tempo, um an der ersten Option  (Freibauer) erfolgreich weiter zu basteln

24. Tc1!
Dieser Turmschwenk ist sehr sinnvoll. Der Turm strebt nach c7 oder c8.

24. … Da6 25. Tc7





Schon der rein optische Eindruck macht deutlich, dass die schwarze Figurenkoordination erheblich durch den d-Bauern gestört wurde. Die schwarzen Figuren stehen ohne große Wirkung auf der Grundreihe und am Rand. Im Gegensatz dazu sind die weißen Figuren zentral aufgestellt und üben eine gewisse Wirkung aus.

25. … b5 26. Sd4 Db6
Dies sieht wie ein gefährlicher Doppelangriff. War Weiß zu leichtsinnig?

27. Tc8!
Der Springer ist tabu wegen 27. … Dxd4 28. Txd8 Txd8 29. Te8+! Und „Aus die Maus“! Ein Beweis für die vorhin gemachte Aussage, dass ein weit vorgerückter Freibauer taktische Möglichkeiten schafft

27 … Sb7 28. Sc6! Sd6



29.Sxd8 Sxf5 30. Sc6!
Die Umwandlung des d-Bauern ist nicht mehr zu verhindern. Weiß wird am Ende aller möglichen Abwicklungen immer mindestens einen Mehrturm haben.

1-0


Resümee: Weiß hatte an entscheidender Stelle an seiner Spielstrategie               ( Freibauer + Königsangriff) festgehalten, auch wenn dies mit einem Bauernopfer (a2) verbunden war. Der Erfolg gab ihm recht. Wobei er von der Option Königsangriff noch nicht einmal Gebrauch machen musste.

So möge man diese Partie als Ermutigung verstehen, an einer grundsätzlich richtigen und chancenreichen Spielstrategie festzuhalten, auch wenn der Weg der Umsetzung noch nicht so klar ist und vielleicht dem Gegner auch gewisse Zugeständnisse (Mehrbauer) gemacht werden müssen.