Im
Jahre 1914 fand in St.Petersburg eine Partie statt, die in die
Schachgeschichte eingehen sollte. Der junge Capablanca rang
mit dem schon etwas in die Jahre gekommenen Weltmeister
Lasker um den Turniersieg:
Lasker
- Capablanca
1.
e4 e5 2. Sf3 Sc6 3. Lb5 a6 4. Lxc6 dxc6 5. d4 exd4 6. Dxd4 Dxd4 7.
Sxd4
Es ist eine typische
Stellung aus der spanischen Abtauschvariante auf`s Brett
gekommen. Weiß hat im Zentrum einen Mehrbauern, Schwarz das
Läuferpaar und die halboffene e-Linie
7.
… Ld6
Dies gilt als
„veraltet“. Man bevorzugt heutzutage den Aufbau 7. …. Ld7+
8. 0-0-0
8. Sc3 Se7 9. 0-0 0-0
10. f4 Te8 11. Sb3 ( droht e5 mit Figurengewinn) f6
Bislang ist noch nicht
wirklich Aufregendes passiert, aber nun trifft Weiß eine strategisch
weitreichende Entscheidung
12.
f5
Der Sinn dieses Zuges
leuchtet schnell ein. Der Lc8 soll in seiner Beweglichkeit
eingeschränkt und der Lc1 zum Abtausch nach f4 gebracht werden.
Der Nachteil des Zuges
ist ebenso offensichtlich. Der mobile Zentrumsbauer auf e4
wird zu einem rückständigen Bauern. Zudem geht das Feld e5
in den schwarzen Besitz über, ideal für ein Springer als Vorposten.
12.
… b6 13. Lf4 Lb7?!
Dies ist eine
Ungenauigkeit, die dem Weißen nun erlaubt die Initiative zu
übernehmen. Richtig wäre hier 13. … Lxf4 14. Txf4 c5! (schränkt
den Sb3 ein) 15 Td1 Lb7! gewesen
Es zeigt sich, dass hier
Td7 nicht viel gebracht hätte. Eine Beispielvariante: 16. Td7
Tac8 17. Tf1 Sc6 18. Sd5 Se5 19. Txc7 Lxd5 20. Txc8 Txc8 21. exd5 Td8
22. Td1 Sc4
Schwarz gewinnt auf jeden
Fall den Bauern zurück und bekäme die Initiative
14. Lxd6! Cxd6 15. Sd4!
Diesen Springer galt es
unbedingt -wie gesehen – mit c5 abzusperren. Nun wird er sich sehr
wirkungsvoll auf e6 postieren
15.
… Tad8 Se6 Td7 Tad1 Se8
Das ist zu passiv.
Schwarz sollte hier unbedingt nach Gegenspiel suchen. Zum Beispiel mittels 17.
… c5 könnte man den rückständigen Bauern auf e4 angreifen. Nach 18. Sd5 Lxd5 19.
exd5 b5!
wäre die d-Linie
verschlossen und man könnte den Springer via c8-b6-c4 (d7) auf sein
Traumfeld e5 überführen
18.
Tf2 b5 19. Tfd2 Tde7 20. b4!
Nachdem
Schwarz seine Chancen auf ein aktives Gegenspiel versäumt hatte,
hatte Weiß nun einen dauerhaften Vorteil. Aber der Druck in der
d-Linie und der Vorpostenspringer auf e6 reichen noch nicht ganz aus.
Es musste erst noch eine weitere
Schwäche am
Königsflügel geschaffen werden
20.
…
Kf7 21. a3 La8 22. Kf2 Ta7 23. g4 h6 24. Td3 a5 25. h4 axb4 26. axb4
Auf
der Suche nach etwas Gegenspiel hatte Schwarz die a-Linie geöffnet,
verlor aber mangels Möglichkeiten auch gleich wieder das Interesse
an ihr
26.
… Tae7 27. Kf3 Tg8 28. Kf4 g6 29. Tg3 g5+ 30. Kf3 Sb6 31. hxg5
hxg5 32. Th3
Mit
der Öffnung und Besetzung der h-Linie hat Weiß sein Ziel erreicht
und eine neue Schwäche
geschaffen. Oder man könnte auch sagen, dass er seine
Operationsbasis
erweitert
hat
32.
… Td7 33. Kg3 Ke8 34. Tdh1 Lb7
Noch immer scheint die schwarze Stellung verteidigungsfähig. Aber nun holte Weiß zum entscheidenden Schlag aus. Frei nach dem Motto: Welche meiner Figuren beteiligt sich eigentlich noch nicht richtig am Angriff?
35.
e5!!
Ein solches Bauernopfer
sollte nicht „weh“ tun. Der Bauer war eh nicht viel wert und
dafür bekam Weiß ein glänzendes Feld für seinen zweiten Springer
35.
… dxe5
Die Alternative 35. …
c5 funktioniert hier nicht richtig. 36. Th8! Lxh1 37. Txg8+ Ke7 (Kf7?? 38. Tf8+ Ke7 39. exf6 matt) 38. exd6 Txd6 39. Sxb5 Td7 40. Sbc7+ +-
36.
Se4! Sd5
Hier steht der schwarze
Springer zwar gut, aber ist ohne Unterstützung durch die anderen
Figuren
37.
S6c5! Lc8 38. Sxd7 Lxd7
Materiell steht es noch
halbwegs ausgeglichen, aber die weißen Figuren sind einfach zu aktiv
39.
Th7 Tf8 40. Ta1!
Nun kommt Weiß sogar
noch die Öffnung der a-Linie zugute
40.
… Kd8 41. Ta8+ Lc8 42. Sc5
Gegen die zahlreichen
Drohungen war kein Kraut mehr gewachsen, deshalb gab Capablanca hier
auf
1-0
Eigentlich könnte man
hier ja den Artikel beenden, aber es gibt eine eine erstaunliche
Parallele zu der obigen Partie – knapp hundert Jahre später
gespielt:
Aronian-Andrejkin
(2015)
Die Stellung ähnelt in
gewisser Weise dem Diagramm nach Zug 34 in der Lasker-Partie. Und
genau wie dort ist auch der (Feld-)Räumungszug
30.
e5!!
die Lösung! Der an sich
wertlose Bauer wird geopfert um ein phantastisches Springerfeld zu
bekommen. Und so ganz nebenbei wird auch noch etwas für den Lc2
getan
30.
… fxe5
Erzwungen, da 30. …
dxe5 31. Td8+ den Sc8 gewinnen würde
31.
f6! Tgf7 32. Se4!
32.
…. d5
Auch 32. …Tbd7 33.
Ld1! Sb6 34. Lg4 wäre klar vorteilhaft für Weiß
33. Sc5 Sd6 (
33. … Tb4 34. Txg5! +-) 34. Txg5 Txf6 35. Sxb7 Sxb7 36.
Txe5 Sd6
Weiß hat sein geopfertes
Material mit Zinsen zurückbekommen. Die „Qualität“ im Endpiel
erwies sich eine solide Basis für den späteren Gewinn
Ein drittes und letztes
Beispiel stammt aus den sechziger Jahren:
Spasski-Petrosian
(1969)
Die Überlegenheit der
weißen Stellung ist offenkundig. Für seinen geopferten Bauern hat
er einen supergefährlichen Königsangriff erhalten. Es „riecht“
geradezu nach einer entscheidenden Aktion
21.
e5!!
Die
gleiche Idee wie in den vorherigen Beispielen. Wieder soll der
bislang inaktive
Springer
über e4 in den Angriff gebracht werden
21.
… dxe5 22. Se4
droht
einfach 23.
Txf6 gxf6 24. Dg8 #
22.
… Sh5 (22.
… Sxe4?? 23. Txf8 nebst
Matt im nächsten Zug) 23.
Dg6! exd4
23.
Sg5!!
Der
ins Spiel gebrachte Springer bringt die Entscheidung. Schwarz gab
Schwarz auf ohne sich 23.
... hxg5 24. Dxh5+ Kg8 25. Df7+ Kh8 26. Tf3! g4 27. Txg4
mit Matt im nächsten Zug noch zeigen zu lassen
Zusammenfassend kann man sagen, dass in allen drei Beispielen mittels eines Bauernopfers e5 im richtigen Moment das Feld e4 für einen bislang inaktiven Springer räumte.
Diese „Mehrfigur“
schuf dann ein Übergewicht, was in der Folge zu klarem Vorteil oder
Gewinn führte.
Merke:
Eine Aktivierung einer Figur kann manchmal wichtiger sein als das
Festhalten am materiellen Gleichgewicht